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Aufrecht gehn, den Himmel sehn

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7. Dezember

Die Geschichte des Tages

 

Johann saß frierend auf der Parkbank. Um ihm herum trudelten dicke feuchte Schneeflocken zu Boden, bildeten aber bald kleine Seen zu seinen Füßen, weil sie allzu schnell dahinschmolzen. Er zog sich die Jacke fester um den drahtigen Körper. Der Sommer hatte nicht ausgereicht, um genug zuzunehmen. Die Zweige der Obstbäume aus den angrenzenden Schrebergärten neigten sich längst nicht mehr vollbeladen zu den Wegen, dass sich ein Hungriger bedienen konnte, der zufällig oder geplant ihren Weg kreuzte. Als er hier vor Jahren eine Parzelle gepachtet hatte, sah das anders aus. Heute aber ging es vielen darum, die eigenen Vorräte möglichst groß zu halten. Johann beneidete seine Kollegen, die schon von Natur aus einiges mehr auf den Rippen hatten als er. Die mussten weniger frieren im anbrechenden Winter. Die Gegend hier war zu dieser Jahreszeit wie ausgestorben. Manchmal suchte er sich einen Schuppen, den zu verschließen jemand vergessen hatte. Dort schlief er ein paar Stunden. Nie fasste er etwas von den Besitztümern an, die dort lagerten. Es ging ihm nur um den Unterschlupf und eine Mütze voll Schlaf. Auf fremdes Eigentum war er nie scharf gewesen.

Die Dämmerung kam jetzt schon früh. Es wurde Zeit, durch die engen Gassen der Anlage zu schlendern und nach der günstigsten Lagerstatt zu suchen. Johann hatte Glück, gleich um die nächste Ecke schielte er über eine halbhohe Buchsbaumhecke und sah, dass die Tür des Geräteschuppens einen Spalt weit aufstand. Aufmerksam sah er sich nach allen Seiten um, ob ihn nicht ein später Spaziergänger beobachtete, der ihn zur Rede stellen konnte, was er hier zu suchen hatte.

Leise quietschte das Gartentor in den Angeln.  Johann schloss es hinter sich und ging die wenigen Schritte bis zum Schuppen. Erleichtert atmete er auf. Drinnen war es in jedem Fall wärmer als draußen und sein Blick fiel auf eine alte Fellweste, die ihren Besitzer beim Gärtnern vor dem Herbstwind geschützt haben musste. Er hatte sie ebenso vergessen wie das Vorhängeschloss an der Tür. Johann setzte sich in eine leere Ecke. Die letzten Lichter des Tages drangen durch die Ritzen in der Bretterwand und geleiteten ihn in den Schlaf.

Als er von einem scharrenden Geräusch erwachte, war es stockduster. Er hielt den Atem an und versuchte zu erkennen, woher der Ton kam. Das hatte ihm noch gefehlt, dass man ihn mitten in der Nacht von hier vertrieb. So schnell würde er keinen Ersatz finden und war dazu verdammt, im Schneegestöber herumzuirren. Von dem Ärger, der ihm blühte, ganz abgesehen. Da öffnete sich die Schuppentür und eine Hand mit einer Laterne leuchtete den Raum aus. Ein Gesicht erkannte Johann nicht, weil er vom Lichtschein geblendet wurde. Aus dem Schein schälte sich langsam eine Person hervor, die kaum größer war, als ein Gartenzwerg. Die Laterne hielt das Wesen hoch über seinem Kopf und nicht etwa in der Körpermitte, wie Johann es vermutet hätte.  

Jetzt konnte er nicht mehr schweigend abwarten:

„Wer bist du denn?“, erkundigte er sich neugierig bei dem etwa achtjährigen Jungen, der ihn ängstlich anstarrte.

„Marco!“, stammelte der Kleine.

„Und was treibst du um diese Zeit hier? Mitten in einer Dezembernacht?“ Johann vergaß völlig, dass das Kind ihm die gleichen Fragen stellen konnte und dass auch ihm eine Antwort nicht so leicht gefallen wäre.

„Ich musste herkommen. Der Garten gehört meinem Opa und ich wollte mir seine Fellweste holen. Aber die hast du ja schon angezogen!“, erklang es vorwurfsvoll.

„Ich habe sie nur ausgeliehen. Mir war so kalt!“, entschuldigte Johann sich.

„Mir ist auch kalt. Aber deshalb wollte ich sie nicht.“

„Warum dann? Vor allem: Warum mitten in der Nacht? Der Junge hatte feuchte Augen als er antwortete:

„Mein Opa ist heute Abend gestorben. Meine Eltern sind noch bei ihm im Krankenhaus und zu Hause war alles so leer und so traurig. Und da dachte ich, ich hol mir seine Weste. Die riecht immer so gut nach seinem Pfeifentabak, und nach Opa eben. Vielleicht fühle ich mich dann besser.“

Johann bekam ein schlechtes Gewissen. Er sprang auf, zog die Weste aus und streckte sie dem Kind hin.

„Weißt du, es tut mir leid, dass ich sie angezogen habe. Ich konnte ja nicht ahnen… Und jetzt riecht sie vielleicht auch ein bisschen nach mir. Kann sein, dass dich das stört.“ Der Junge verbarg die Nase in dem Kleidungsstück, schloss die Augen und sog die Luft tief ein.

„Ein bisschen vielleicht. Und ich versteh ja, dass dir kalt war. Aber es ist eben Opas Weste. Ich kann sie dir nicht überlassen. Aber wir können ins Gartenhaus gehen und nachsehen, was dort noch herumliegt. Eine alte Decke vielleicht?“

„Das ist nett von dir.“ Johann ging hinter dem kleinen Kerl hinüber zur Hütte.

„Aber ich habe eine bessere Idee!“, der Junge blieb stehen und wandte sich dem Mann zu. „Es ist doch bald Weihnachten. Und ich weiß jetzt schon, wie sehr ich die Geschichten vermissen werde, die Opa mir immer erzählt hat. Und im Winter kommt niemand hierher. Die Pacht ist bis zum Frühjahr bezahlt. Meine Eltern hängen nicht an diesem Garten. Nicht so, wie Opa und ich. Du bleibst einfach hier, machst es dir gemütlich und wenn ich allein bin, komme ich vorbei und du erzählst mir eine Geschichte.“ Johann hatte ihm mit offenem Mund zugehört. Ausgerechnet er, der sich nie festlegen, sich nicht binden lassen wollte von äußeren Einflüssen. Deshalb führte er schließlich dieses unstete Leben. Er sollte einen ganzen Winter lang hierbleiben und sich auch noch Geschichten ausdenken, mit denen er das Bürschchen unterhalten konnte. Dass er selbst bestimmen konnte, wie dauerhaft der Deal sein würde, auf den Gedanken kam Johann nicht. Er sah die moralische Verpflichtung, die dahinter stand. Wenn er jetzt zustimmte, musste er bleiben. Etwas anderes kam gar nicht in Frage.

„Ich bin einverstanden!“, hörte der Mann sich sagen und Marco drehte sich um und betrat das kleine Häuschen.

„Dann ist das hier dein Reich!“ und der Kleine machte eine einladende Handbewegung, während er sich um die eigene Achse drehte. „Du gibst auf das Haus Acht und ich komme jeden Tag von drei bis vier. So bleibt dir genug Zeit, dir etwas Neues auszudenken, wovon du mir erzählen kannst. Dann bin ich für dich wichtig und du für mich.“ Johann nickte nur.

Die eigentümliche Vereinbarung überdauerte einen ganzen Winter – der erste Winter seit Jahren, in dem Johann nicht von einer Erkältung gepiesackt wurde. Und weil Marco immer wieder etwas zu Essen mitbrachte, nahm er sogar ein paar Kilo zu. Plötzlich drückte der Hosenbund als sie an einem Tag im Januar – das Weihnachtsfest war längst vorbei – mit den restlichen Keksen und einer Tasse Kakao auf dem alten, zerschlissenen Sofa saßen. Der Junge kuschelte sich in die Weste, die Johann seit der ersten Nacht nie wieder getragen hatte. Sein Opa war längst beerdigt und an dem Tag hatte er viel geweint. Johann hatte nur dagesessen, gewartet, dass er sich beruhigte und ihm die Geschichte des Tages erzählt. Da war Marco ruhiger geworden und Johann erkannte, dass der Junge Recht gehabt hatte: Sie waren füreinander wichtig geworden.

Als die ersten Krokusse ihre Blütenköpfe der Sonne entgegenstreckten, kam die Zeit des Abschieds. Das tat beiden weh, doch Marco war das Abschiednehmen nun schon vertrauter. Johann kannte sich damit sowieso gut aus. Und vielleicht sahen sie einander ja eines Tages wieder. Bis dahin hatte Johann Zeit, neue Geschichten zu ersinnen.

 

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