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Auch alle E-Book-Leser können  "Das Feentuch" herunterladen.:  

Selbstverständlich gibt es mit der "Blick-ins-Buch-Funktion" eine Leseprobe. Also auf ins magische Schottland!

Aufrecht gehn, den Himmel sehn

Neben meinen Büchern, die durchweg in der Unterhal-tungslektüre ihren Platz haben, ist ein biblisches Musical für Kinder ab sechs Jahre in Chor-und Theatergruppen erschienen. In diesem Buch befinden sich Lieder, Sprechtexte und Notenmaterial für eine 30-minütige Aufführung.  In sechs Szenenbildern und ebenso vielen Liedern begegnen die Kinder Sarah, deren Blick auf den Boden gewandt ist und die an dieser Last schwer trägt. Und sie erfahren, was geschieht als Jesus in Sarahs Leben tritt... Das Buch im lese- und musikerfreund-lichen Großformat ist bei Amazon erhältlich.

20. Dezember

Die Volkszählung

 

Akgün fährt U-Bahn. Es ist ein typischer Spätnachmittag im Dezember. Draußen nieselt es und es ist kalt. Deutscher Winter eben. Akgün fröstelt, ob-wohl der Waggon beheizt ist.

Er schaut sich um. Alle Fahrgäste sind auf dem Weg nach Hause, glaubt er. Die alte Frau mit der vollen Einkaufstasche im Rollator, der Dicke da hinten, im Arbeitsanzug und ihm gegenüber ein griesgrämig dreinblickender Mann im Anzug. Vor ihm steht eine schlanke Edeltanne, in ein weißes Netz gezwängt.

Akgün weiß, es ist nicht mehr weit bis zum Weihnachtsfest. Doch er hat damit nichts zu tun. Er ist Moslem.

Die Bahn hält. Alle Insassen wollen gleichzeitig aus dem kleinen Türchen schlüpfen. Die, die draußen stehen, wollen schnell einsteigen. Das gibt den üblichen Stau und der Mann mit der Tanne hat große Mühe, das Ding hinter sich her zu zerren. Akgün grinst ein wenig. Ein vorwitziger Zweig streift ihn an der Wange. Die Nadeln riechen verführerisch nach dem ätherischen Öl des Baums. Akgün schließt die Augen und atmet tief ein. Mit ein bisschen Phantasie könnte man denken, man stehe mitten in einem Nadelwald. Als er die Augen wieder öffnet, sieht der Mann ihn geradewegs an. Plötzlich tut sich vor ihnen eine Lücke auf. Akgün will gerade hindurch schlüpfen, aber der andere hält ihn zurück. Zieht ihn am Ärmel. Dann hält er ihm den Baum hin und sagt:

     „Nehmen Sie ihn. Mir ist das Ding doch nur lästig!“, nimmt die Hand des erstaunten Türken und schließt sie um die Spitze des mannshohen Baumes. Ehe er etwas erwidern kann, nutzt der Typ die Lücke und verschwindet im Bahnhofsgetümmel.

Was bleibt Akgün anderes übrig, als mit dem Baum auszusteigen. Doch was soll er damit anfangen? Er geht erst einmal einige Schritte. Der Baum ist ziemlich schwer. Da steht ein junger Mann an der Ecke. Akgün steuert auf ihn zu:

     „Wollen Sie einen Baum kaufen?“, schließlich konnte er das Geschenk auch zu Geld machen. War doch nichts dabei.

     „Jetzt verkaufen die Türken schon Christbäume…“, sagt der Mann, schüttelt den Kopf und verschwindet im Gedränge.

Dort ist noch die Frau mit dem Rollator. Akgün geht zu ihr und fragt:

     „Haben Sie schon einen Baum für Ihr Fest? Der hier ist zu verkaufen!“

„Schade, junger Mann, meine Wohnung ist viel zu klein für einen so großen Baum. Ich habe immer nur ein paar Zweige. Tut mir leid.“ Mit schwerfälligen Schritten schiebt sie den Rollator weiter.

 

     Da vorne steht eine Frau mit einem Kleinkind. Sie scheint auf jemanden zu warten. Vielleicht auf ihren Mann, der kann ihr dann gleich tragen helfen. Akgün nähert sich.

     „Brauchen Sie noch einen Baum fürs Fest?“, erkundigt er sich.

     „Nein, mein Mann bringt gleich einen Baum mit. Ich warte hier schon eine Ewigkeit auf ihn. Er hat wohl die Bahn verpasst.“

 

     Langsam wird Akgün das unerwartete Geschenk lästig. Keiner will den Baum haben und der Türke bekommt fast Mitleid mit dem Grünzeug, aber das ist Blödsinn. Einen Ofen oder Kamin hat er auch nicht. Für ihn ist der Baum vollkommen nutzlos. Trotzdem nimmt er ihn mit nach Hause. Was soll er auch damit machen?

Auf der Straße spürt er, wie sich die Leute anstoßen und auf ihn weisen. Ein Türke mit einem Christbaum ist ein ungewohntes Bild und dass Akgün nicht von hier ist, sieht man eben doch.

     „Jetzt kaufen die uns auch schon die Tannenbäume weg“, sagt einer auf der anderen Seite. Akgün tut, als habe er nichts gehört.

Endlich erreicht er das Mehrfamilienhaus, in dem er wohnt. Der Aufzug war heute Morgen kaputt, fällt ihm ein. Jetzt kann er das Weihnachtsgemüse bis in den vierten Stock schleppen. Vor der

Tür will er ihn nicht liegen lassen. Das gibt sonst nur Ärger mit dem Hausmeister. Also zieht und zerrt er den Baum durch die Haustür und bemerkt nicht, dass Frau Kleist aus der zweiten Etage hinter ihm steht. Fast rennt er sie um.

     „Guten Abend, Herr Erdal!“ sagt sie. Akgün zuckt erschreckt zusammen. Frau Kleist grüßte immer, sprach seinen Namen jedoch aus, wie eine deutsche Schuhcrememarke, mit der Betonung auf dem A.

     „Guten Abend, Frau Kleist.“

     „Haben Sie in diesem Jahr auch einen Christbaum? Schön, dass Sie sich unseren Sitten und Gebräuchen anpassen.“

Akgün lässt Frau Kleist in dem Glauben. Wie soll er ihr auch erklären, warum er einen Baum hat? Er versteht es ja selbst nicht. Er verabschiedet sich und astet die Tanne durch das enge Treppenhaus. Er hört gar nicht, dass Frau Kleist bei Frau Schmidt im Erdgeschoss schellt, statt das Haus zu verlassen. Endlich ist er im vierten Stock angekommen. Er verschnauft ein bisschen. Dann läutet er. Er kann mit einer Hand den Schlüssel nicht finden. Die andere klammert sich an den Baum. Seine Frau öffnet die Tür.

     „Ja, bitte?“, sagt sie. Hinter dem Baum kann sie ihn nicht sehen.

     „Ich bin’s, Ebru, lass mich rein.“ Langsam ist Akgün genervt. Was für ein Feierabend…!

     „Akgün?“ Die Stimme seiner Frau steigt um mindestens zwei Oktaven.      „Was soll das? Was willst du mit dem Baum in der Wohnung?“

Nebenan, bei Herrn Semjonow aus Weißrussland, geht schon die Etagentür auf. Er schaut erstaunt heraus und macht die Tür gleich wieder zu. Eine Treppe höher klingelt das Telefon. Akgün lehnt sich gegen den Baum und drückt ihn durch die Türöffnung. Er will hier nicht Wurzeln schlagen und vom Baum ist das wohl auch nicht mehr zu erwarten.

In der Diele lehnt er ihn an die Wand und erzählt Ebru die ganze unglaubliche Geschichte. Dass jemand ihm den Baum aufgedrängt hat und dann verschwunden ist, dass ihn niemand kaufen wollte und selbst die unverschämten Bemerkungen der Passanten verschweigt er ihr nicht.

 

     Dann ist es plötzlich still. Ebru erwidert nichts.

Sie beginnt, aus vollem Hals zu lachen. Ihr Mann ist doch immer wieder für eine Überraschung gut.

Wieder schellt es. Das junge Paar sieht sich an. Wer kann das sein um diese Zeit? Akgün öffnet die Tür. Davor stehen Frau Schmidt und Frau Kleist mit ein paar Kartons auf dem Arm.

     „Sie haben sicher keinen Schmuck für den Baum, Herr Erdaaal!“, sagt Frau Kleist. Frau Schmidt stößt ihr den Ellbogen in die Seite und sagt mit vorwurfsvollem Blick:

     „Er heißt Erdal, Elisabeth!“ Ebru reagiert schneller als Akgün.

     „Kommen Sie doch herein, meine Damen. Der Baum ist das Geschenk eines Unbekannten. Mein Mann und ich wissen gar nicht, was wir damit machen sollen.“ Ehe die Frauen etwas erwidern können, klopft es an die Wohnungstür. Ebru öffnet und blickt direkt in die Augen von Herrn Semjonow. Der nickt freundlich und betritt die Wohnung.

     „Sie müssen Hülle aufschneiden. Haben Sie überhaupt Christbaumständer?“ Suchend blickt er sich in der Diele um.

    „Nein!“, antwortet Akgün. Inzwischen ist er völlig erschöpft. Die Ereignisse haben ihn überrollt.

     „Ich muss telefonieren mal!“, sagt Semjonow und zückt sein Telefon.

„Ja, Chung? Hier Semjonow. Sag mal, hast du noch übrig Christbaumständer? Komm kurz vorbei dann bei mir. Aber klingel bei Erdal. – Keine Angst, mein Freund aus chinesischen Laden bringt Ausstellungsstück vorbei. Kann ich hereinkommen solange? Ich auch würde gerne helfen. Sie haben sicher noch nie eingestielt ein Baum?“, fragt er in leicht gebrochenem Deutsch.

Akgün gibt den letzten Widerstand auf. Er bittet die Gäste ins Wohnzimmer, wo sie in Nullkommanichts auf dem Sofa Platz nehmen. Doch er kommt nicht dazu, sich zu setzen. Wieder läutet es an der Tür. Akgün stöhnt und geht in die Diele. Als er öffnet, steht Jenny dort, die halbwüchsige Punkerin aus der ersten Etage.

     „Meine Eltern kommen später. Die holen noch Glühwein. Wir haben gehört, hier steigt heute eine Christbaumparty.“ Dann geht sie an Akgün vorbei ins Wohnzimmer und wird mit großem Hallo begrüßt.

     „Hey, was geht ab?“, ruft sie den anderen zu. Alle reden durcheinander und man versteht kaum ein Wort. Beim nächsten Läuten ist es Chung, der chinesische Freund von Semjonov, mit dem Christbaumständer.

 

     Am Ende des Abends platzt das Wohnzimmer von Ebru und Akgün Erdal aus allen Nähten. Es ist kein Stuhl mehr frei. Ebru reicht schon die vierte Runde mit kleinen Häppchen herum. Jennys Mutter hat den Glühwein in Erdals Küche erhitzt und schenkt ihn in türkischen Teegläsern aus. Frau Kleist und Frau Schmidt haben den Baum wunderschön geschmückt, nachdem Jennys Vater und Semjonov ihn mit vereinten Kräften aufgestellt haben. Sogar eine alte Lichterkette kam in den Kartons zum Vor-schein. Nun blitzt und blinkt der Tannenbaum und nachdem auch der letzte Nachbar den Weg herauf gefunden hat – der alte Herr Müller, der sich so gerne eine Tasse Mehl bei Ebru leiht, ansonsten aber nie mit den Erdals spricht – ist es für einen Augenblick still.

Alle blicken auf den Baum und in ihren Gesichtern liest man unterschiedlichste Gefühle. Jenny bringt es auf den Punkt:

     „So muss das beim Zählen in Bethlehem gewesen sein. Da waren bestimmt nicht nur Juden, sondern auch Griechen und was es sonst noch alles gab in Jerusalem. Ich find es cool. Volkszählung auf der Forststraße 12. Und für jeden ist Platz!“

     „Ich bin an Heiligabend nicht gerne alleine“, flüstert Frau Kleist leise.

     „Dann kommen Sie einfach hoch und wir machen das Licht wieder an“, sagt Ebru mit wackliger Stimme. „Sie alle sind uns jederzeit herzlich willkommen! Nicht nur an Ihrem Weihnachtsfest!“

     „Das ist doch ein Wort!“ ruft Jenny. Und Akgün hält froh die Nase in die grünen Zweige, schließt die Augen und glaubt einen Moment lang, er stehe mitten im Wald.

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